Suche
Close this search box.

Glanzlichter des Wandels

NEUE TRENDS. Die Art und Weise, wie wir mit unserer Gesundheit umgehen, ist ständig im Fluss. Wie Personalisierung, Gendermedizin, e-Rezept und Co. das Gesundheitswesen und die Apothekenwelt verändern.

Text: Josef Puschitz | Illustrationen: Blagovesta Bakardjieva

Trends im Gesundheitswesen verlaufen wellenförmig. So empfindet es zumindest die Kardiologin und Gendermedizinerin Univ.Prof. Dr. Margarethe Hochleitner von der Medizinischen Universität Innsbruck. „Es ist ein ständiges Auf und Ab – getrieben von neuen Arzneimitteln, die den Markt erreichen, um dann wieder abgelöst zu werden von einer generellen Abneigung, Medikamente einzunehmen, und dem Bedürfnis, alles operativ zu behandeln“, beschreibt es die Doyenne der Frauengesundheit, die sich seit den frühen 1990erJahren mit Geschlechterunterschieden in der Medizin beschäftigt. In ihrer fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere hat sie zahlreiche Umwälzungen im Gesundheitswesen miterlebt, einige auch davon mitgestaltet. Wenig überraschend attestiert sie, dass aktuell einige Veränderungen und Neuerungen anstehen – nicht nur für Ärzt*innen.

Auch Apotheker*innen müssen sich mit neuen Gegebenheiten in ihrem täglichen Arbeitsumfeld auseinandersetzen. Das wiederum kann Beatrix Linke vom IQVIA bestätigen: Sie arbeitet für die Österreich-Repräsentanz des global agierenden Unternehmens, das sich mit klinischer Auftragsforschung und mit Arzneimittelversorgungsforschung beschäftigt. „Dazu erhebt IQVIA in über 100 Ländern weltweit den Bedarf an Arzneimitteln. Als unabhängiger Marktbeobachter möchten wir mit unseren Daten dazu beitragen, dass die Transparenz im Gesundheitswesen steigt. In Österreich arbeiten wir zu diesem Zweck mit den relevanten Stakeholdern in der Lieferkette zusammen – dies sind beispielsweise Pharma-Großhändler und Apotheken, aber auch Interessensvertretungen“, fasst Linke das Aufgabenspektrum zusammen.

Top-Seller aus der Natur
Dank der Marktforschungstätigkeit von IQVIA kann die Expertin für Konsumgütermarketing mit interessanten Zahlen aufwarten: „Bezüglich Apothekensortiment geht der Trend zu Phytopharmaka – mittlerweile sind fast 18 Prozent aller OTC-Arzneimittel rein pflanzlich. Besonders hohe Phytoanteile finden sich bei Sinusitispräparaten, Beruhigungs- und Schlafmitteln sowie Produkten bei Harnwegsbeschwerden“, sagt Linke. Starke Nachfrage ortet sie auch bei hochwertiger Apothekenkosmetik, vor allem die Produktpaletten der Naturkosmetik und Sonnenpflege weckten großes Interesse bei den Kund*innen. Die Nase vorn hat aber eine andere Gruppe: „Topische Antihistaminika sind die Wachstumssieger nach Absatz der letzten 12 Monate, während Grippe- und Erkältungsmittel sowie Magnesiumpräparate stark zum Umsatzwachstum beitrugen“, so Linke zu den Top-Sellern.

Die Marktforscherin kann aber auch über Trends abseits der reinen Verkaufszahlen berichten. „Natürlich hat beispielsweise die Ausrollung des e-Rezepts die Arbeitsweise der Apotheken sehr verändert. Viele setzen vermehrt auf Digitalisierung und investieren beispielsweise auch in Tools für besseres Projekt-, Work- und Zeitmanagement. Der Wunsch nach mehr Verantwortung der Apotheken wurde ja bereits vor einigen Jahren laut“, sagt die IQVIA-Expertin.

Mehr Verantwortung werden Apotheken auch im Versorgungsbereich tragen, wenn es nach den Wünschen der Berufsgruppe geht: „Obwohl zahlreiche Pharmazeutinnen und Pharmazeuten schon einschlägig ausgebildet sind, dürfen die österreichischen Apotheken noch nicht impfen. Viele bieten aber verstärkt Gesundheitsdienstleistungen wie Blutdruck-, Blutfettwerte- und Blutzuckermessungen an. Auf diese Weise untermauern sie ihre wichtige Rolle in der medizinischen Grundversorgung. Vor allem in Gegenden mit großer Apothekendichte sehen wir auch einen Trend zur Spezialisierung, sei es nun Ernährungsberatung, Alternativmedizin oder Kosmetik“, sagt Linke.

 

„Bezüglich Apothekensortiment geht der Trend zu Phytopharmaka - mittlerweile sind fast 18 Prozent aller OTC-Arzneimittel rein pflanzlich.“

Gesundheitskompetenz stärken
Die Entwicklungen, die sie im Apothekenbereich ortet, gehen Hand in Hand mit Themen, die in der Versorgungsplanung und Gesundheitsforschung aktueller sind denn je. Dr. David Wachabauer, BSc, BSc, MSc, Abteilungsleiter für Primärversorgung und Versorgungskoordination bei der Gesundheit Österreich GmbH, beschreibt die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung als wichtigen Trend, der auch politische Implikationen mit sich bringt: „Es wird besonders wichtig sein, Menschen mit niederschwelligen Informationsangeboten zu erreichen. Das können digitale oder analoge Mittel sein, um sicherzustellen, dass Menschen leichter zu den passenden Gesundheitsangeboten finden und dorthin gelenkt werden, wo sie die beste Versorgung erhalten“, sagt der ausgebildete Radiologietechnologe, der auch Betriebswirtschaft und Public Health studiert hat. Seit zwölf Jahren ist er bei Gesundheit Österreich tätig und hat dort von Beginn an die Primärversorgungsreform mitbegleitet.

Primärversorgung am Vormarsch
Primärversorgungseinheiten (PVE) werden von der EU mit 100 Millionen Euro gefördert, 95 solcher Zentren oder Netzwerke gibt es aktuell in Österreich – Tendenz steigend: „Um die Primärversorgung auszubauen, müssen PVE gestärkt werden. Ziel ist es, vor allem hausärztliche oder kinderärztliche Gruppenpraxen mit weiteren Gesundheits- und Sozialberufen zu vereinen“, sagt Wachabauer. Er sieht hier Jungärzt*innen als wichtige Zielgruppe, diese zeigten großes Interesse für die Arbeit in einem Team. In Wien lasse sich bereits ein großer Andrang auf die Ausschreibungen für PVE beobachten, getragen hauptsächlich von jüngeren Allgemeinmediziner*innen. Auch Apotheken sollten von PVE profitieren, vor allem wenn sie in der Nähe angesiedelt seien: „Wir sehen viele spannende Anknüpfungspunkte zwischen PVE und Apotheken. Angefangen von Kooperationen im Bereich Gesundheitsförderung bis hin zu gemeinsamen Maßnahmen im Bereich der Medikationsanalyse. PVE und Apotheken können einiges an Knowhow austauschen“, ist Wachabauer überzeugt.

Niederschwellige Anlaufstelle
Apotheken haben zudem als niederschwellige Anlaufstelle einen wirksamen Hebel in der Patienteninformation. „Als solche können sie auch einen wichtigen Beitrag in der geschlechterspezifischen Versorgung leisten“, gibt Margarethe Hochleitner zu bedenken: „Wir sehen, dass Frauen ein geringeres Bewusstsein bei den Gefahren des Bluthochdrucks besitzen. Dem gehen Jahrzehnte voran, in denen Frauen in Diagnose und Therapie von Herzerkrankungen unterversorgt waren – mit dem Effekt, dass zu selten Hochdruckmittel eingenommen werden“, sagt die Kardiologin. Schon vor 25 Jahren rief sie an der Meduni Innsbruck ein Frauengesundheitszentrum ins Leben. Mittlerweile hat sich in der Forschung einiges getan, die Hauptthemen sind aber die gleichen geblieben: nämlich unterschiedliche Reaktionen auf Medikamente bei Frauen und Männern, sowohl die Unverträglichkeiten und Dosis als auch die Angst vor Arzneien betreffend. Auch hier sieht Hochleitner die Apotheken, im Zusammenspiel mit den niedergelassenen Arztpraxen, in einer wichtigen Rolle: „Bei der Beratung und Suche nach verträglichen Alternativen kann vor allem den Patientinnen noch viel geholfen werden.“

„Wir sehen viele spannende Anknüpfungspunkte zwischen PVE und Apotheken. Angefangen von Kooperationen im Bereich Gesundheitsförderung bis hin zu gemeinsamen Maßnahmen im Bereich der Medikationsanalyse.“