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Am Anfang war die Alchemie

Von wegen Pseudowissenschaft! Ein EU-Horizon-2020-Forschungsprojekt zeigt, dass die Alchemie ein ernst zu nehmender Wegbereiter der modernen Chemie war – und Frauen dabei eine wichtige Rolle zukam.

Text: Greta Lun

Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Alchemie“ hören? Wahrscheinlich an Praktiken, die mehr mit Spiritualität und Naturphilosophie als mit wissenschaftlichen Grundsätzen zu tun haben. AlchemEast, ein im April 2023 abgeschlossenes Forschungsprojekt, beschäftigte sich intensiv mit den Ursprüngen der Alchemie – vom alten Babylonien über das griechisch-römische Ägypten bis hin zur frühen islamischen Zeit – und widerlegt dieses vorschnelle Urteil.

Das Forschungsteam kam zu dem Schluss, dass die antike Alchemie durchaus wissenschaftlich arbeitete, Theorien aufstellte und diese in Experimenten überprüfte. Es ging nicht nur darum, unedle Metalle in Gold zu verwandeln, sondern auch um eine Vielzahl von Techniken zur Manipulation von Rohstoffen: Metalle wurden gefärbt, künstliche Edelsteine aus Glas hergestellt und chemische Verbindungen geschaffen – und so wurde der Grundstein für die moderne Chemie gelegt.

„Unser Ziel war es, besser zu verstehen, welche Rolle Chemie und Alchemie, die meiner Meinung nach in verschiedenen Epochen im Grunde dasselbe sind, beim Aufbau der modernen Wissenschaft gespielt haben“, sagt Wissenschaftshistoriker und Projektleiter Matteo Martelli von der Universität Bologna. Fünf Jahre lang untersuchten er und sein Team 2.500 Jahre alchemistischer Überlieferungen – konkret von 1500 v. Chr. bis in die frühen 1000er-Jahre n. Chr. Im Rahmen des Horizon-Programms der Europäischen Union erhielt das Studienprojekt eine Förderung von fast zwei Millionen Euro.

Hands-on-Forschung

Die Forscher*innen studierten nicht nur alte Texte und Rezepturen, sondern probierten einige davon auch im Labor selbst aus. Sie stellten goldfarbene Tinte aus Honig und Kieselsäure her und experimentierten mit sogenanntem göttlichem Wasser, das schwefelhaltige Verbindungen enthält. „Es ist erstaunlich: Man kann Silber wie Gold aussehen lassen, indem man eine Silbermünze für ein paar Sekunden in dieses göttliche Wasser taucht“, so Martelli. „Da wird klar, warum die Menschen damals anfingen zu glauben, dass es möglich sei, mit diesem Verfahren Gold herzustellen.“

Frauen als Chemie-Pionierinnen 

Das Team untersuchte auch die Rolle, die Frauen bei der Entwicklung des Fachs spielten. Eine der wichtigsten frühen Praktikerinnen war Maria die Jüdin, die zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert n. Chr. in Alexandria lebte, wo die Alchemie eine Blütezeit erlebte. Sie erfand mehrere chemische Apparate. Nach ihr ist auch das „Bain-Marie“ benannt, das Heißwasserbad, das heute noch in Küchen zum Einsatz kommt, um Speisen warmzuhalten.

Doch die Anfänge reichen deutlich weiter zurück, und auch der erste Mensch, der sich der Chemie widmete, könnte eine Frau gewesen sein: Tappūtī-bēlat-ekalle leitete um 1200 v. Chr. im alten Assyrien eine Gruppe, die Parfüms herstellte. Tontafeln mit akkadischer Keilschrift zeugen davon, wie sie dabei vorging – und beschreiben heute noch grundlegende chemische Prozesse wie Heißextraktion und Filtration.

Fotos: shutterstock.com/Gorbash Varvara