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„Die goldenen Zeiten sind vorbei“

Unternehmen Apotheke. Es wird schwieriger, sich am Markt zu behaupten – aber es gibt auch jede Mengen Chancen. Wer seine Apotheke heute wirtschaftlich erfolgreich führen will, muss auf neue Rezepte setzen.

Der Wind der Veränderung bläst auch in der Apothekenbranche immer schärfer. Geringe Margen und steigende Kosten machen es immer schwieriger, eine Apotheke erfolgreich zu führen. Dazu kommt die Digitalisierung, die andere Branchen bereits völlig auf den Kopf gestellt hat, über deren genaue Auswirkungen man aber derzeit nur mutmaßen kann. „Früher waren Apotheken ja oft Gelddruckmaschinen, nach dem Pharmaziestudium begann die Ernte“, sagt Mag. Martin R. Geisler, Generalsekretär der Rat & Tat Apothekengruppe. „Das ist in der Zwischenzeit komplett anders. Die goldenen Zeiten sind vorbei, vielen Apotheken geht es sehr schlecht.“ Fast jede dritte der rund 1.400 heimischen Apotheken befindet sich laut KMU Forschung Austria in der Verlustzone (die aktuellsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2016). Die durchschnittliche Apotheke erwirtschaftet zwei Drittel ihres Umsatzes mit verschriebenen Arzneimitteln. Die Spanne in diesem Bereich ist in den vergangenen zehn Jahren jedoch von 18,56 Prozent auf 14,54 Prozent gesunken. Damit haben die Apotheken wesentlich zur Sanierung der Krankenkassen beigetragen. Auf der anderen Seite bedeutet das aber auch: „Wer sich heute bloß als Rezepteinlöser versteht, hat seine Daseinsberechtigung verloren“, wie es Geisler formuliert. „Dieser Zug ist abgefahren.“

„Früher ist das Geschäft von selbst gelaufen, jetzt muss man etwas dafür tun – und zwar das Richtige“, sagt auch Viktoria Hausegger, Positionierungsprofi und Expertin für Marketing und Management von Apotheken. „Die Kunden entscheiden heute viel selbstbewusster, was sie wo kaufen. Auch durch das Internet sind sie gut informiert und erwarten eine umfassende Beratung. Dadurch sind die Apotheker gefordert wie noch nie.“ Dazu kommt der Onlineversandhandel für OTC-Produkte, der seit 2015 auch für österreichische Apotheken erlaubt ist. Wobei die Konsumenten zumindest bisher noch nicht wirklich auf diesen Zug aufgesprungen sind. „Jemand, der an einer Erkältung leidet, benötigt das Arzneimittel sofort und will daher nicht auf die Lieferung durch einen Onlineshop warten“, vermuten die Experten der Bundeswettbewerbsbehörde. „Zalando-artige“ Zustände erwartet Geisler auch in Zukunft nicht. Aber die Richtung ist klar, warnt er: „Es geht um Marktanteile, die nicht mehr in die Apotheke zurückkommen werden.“

Bei den Spannen ist man gezwungen kreativ zu werden.
Mag. pharm. Alexander Ehrmann, Saint Charles Apotheke

Gebot der Differenzierung

Also was tun? Wie kann man eine Apotheke erfolgreich durch diese stürmischen Zeiten steuern? „Jetzt wird eine Qualität wichtig, die uns Apotheker nicht gerade auszeichnet“, sagt Mag. pharm. Alexander Ehrmann. „Nämlich über den Tellerrand hinauszublicken.“ Ehrmann ist Inhaber der Saint Charles Apotheke in Wien Mariahilf – sowie eines vis-à-vis liegenden Naturkosmetikgeschäfts, eines Zentrums für ganzheitliche Therapien und einer Bioküche, darüber hinaus bietet er im „Saint Charles Hideaway“ Kosmetikbehandlungen an, auch eine Dependance in Berlin gibt es. Und seit September betreibt er in der Wiener Herrengasse einen „City-Store“. „Bei den Spannen auf Krankenkassenumsätze wird man fast dazu gezwungen, kreativ zu werden“, meint er. Mittlerweile macht er nur mehr ein Drittel seiner Umsätze im Rezeptbereich. „95 Prozent der Apotheken bieten zu 97 Prozent das Gleiche an. Wir hingegen bieten Sachen an, die es nur bei uns gibt.“ Die Eigenmarke Saint Charles umfasst Heilmittel und Kosmetikprodukte, die Ehrmann auf Grundlage der Traditionellen Europäischen Medizin entwickelt hat. „Relativ viel“ wird über den eigenen Onlineshop vertrieben. Früher hätten die Leute auch Babynahrung und viele andere Produkte in den Apotheken gekauft, meint Ehrmann. „Das haben wir uns alles wegnehmen lassen. Aber das können wir mit Kompetenz, mit unserem Expertenwissen zurückgewinnen“, meint der medienaffine Pharmazeut. „Wo gibt es das sonst, dass man gratis die Beratung einer akademischen Fachkraft in Anspruch nehmen kann?“

Apotheken müssten endlich beginnen, sich mit ihrer Zukunft auseinanderzusetzen, sekundiert Hausegger. „Es geht um die klare Positionierung, um eine mittel- bis langfristige Neuausrichtung. Um die Frage: Warum sollte jemand ausgerechnet zu mir in die Apotheke kommen? Bis vor einigen Jahren musste man darüber nicht nachdenken.“ Bei der möglichen Antwort gebe es viel Spielraum. Und dieser Spielraum ist relevant, auch wenn der Wettbewerbsdruck im Apothekenmarkt noch geringer sein mag als in anderen Branchen. „Die Leute gehen nicht mehr einfach zur nächstbesten Apotheke. Sie fahren zu einer bestimmten Apotheke, weil sie sich dort am besten aufgehoben fühlen, der Spirit stimmt und es dort vielleicht auch ein ganz bestimmtes Angebot für eine bestimmte Zielgruppe gibt“, so Hausegger.

Die Leute gehen dahin, wo sie sich am besten aufgehoben fühlen.
Viktoria Hausegger, Marketingexpertin

Differenzierung lautet eines der Gebote der Stunde. „Es gibt so viele Bereiche, auf die man sich spezialisieren kann, von Naturkosmetik über Kinder bis zum Sport. Heute kaufen etwa viele Sportnahrung in Fitnesscentern statt in Apotheken“, meint Ehrmann. Weitere Beispiele für Marktnischen und Zielgruppen sind etwa bestimmte Krankheitsbilder, etwa HIV, Gehörlose oder auch der Tierbereich.

Auf seine Kosten kommen

Stärker auf Kundenbedürfnisse einzugehen ist freilich nur die eine Seite der Rechnung. Auf der anderen stehen die Ausgaben. „Neben der schwierigen Margensituation leiden die Apotheken heute vor allem unter großen Overhead-Kosten“, sagt Dr. Claudio Albrecht, in der Schweiz ansässiger Strategieberater im Healthcare-Bereich und ehemaliger Chef von Unternehmen wie Stada oder Ratiopharm. „Wenn sie die Digitalisierung stärker vorantreiben würden, könnten sie deutlich an Kosten sparen, zum Beispiel bei der Bestandskontrolle oder mit automatischen Reordering-Systemen.“ Auch die Lagerhaltung ist mit zunehmenden Ausgaben verbunden, weil es schlicht immer mehr Arzneimittel gibt, auch aufgrund von Generika. Hier würde die Möglichkeit zur Substitution den Apothekern erlauben, das Lager zu optimieren. Auch Parallelimport-Produkte seien gerade im Hochpreissegment, wo die gesetzliche Marge in Österreich nur noch 3,8 Prozent beträgt, für den Apotheker eine Möglichkeit, seine Marge zu verbessern. Eine Liberalisierung des Filialsystems könnte den Kostendruck ebenfalls lindern, so Albrecht: „Es macht bei den Konditionen natürlich einen Unterschied, ob eine einzelne Apotheke oder eine ganze Gruppe einkauft. Diese Fragen sollte man sachlich diskutieren.“

Eine Liberalisierung des Filialsystems könnte den Kostendruck lindern.
Dr. Claudio Albrecht, Strategieberater

In Sachen Digitalisierung gebe es vielerorts noch Berührungsängste, sagt Mag. pharm. Andreas Scerbe-Saiko, bei Herba Chemosan Leiter der Bereiche Apothekenservices sowie Unternehmensmarketing: „Wir sollten nicht angstvoll auf den Sturm warten, sondern endlich ins Tun kommen. Dabei muss man das Rad nicht neu erfinden. Es gibt fertige Lösungen, die man sofort in der Praxis einsetzen kann.“ Herba Chemosan etwa bietet mit ApoPoint fixfertige und vor allem skalierbare Webshop-Lösungen an sowie Unterstützung im Social-Media-Marketing. Die Erleichterung und Beschleunigung von Arbeitsprozessen gelingt jeder Apotheke mit Herba Point und mit dem Wawi-plus-Modul von Sanodat kann die Apotheke bereits heute Intelligenz der Zukunft einsetzen.

Geisler von Rat & Tat sieht vor allem bei den Personalkosten großes Potenzial schlummern: „Der Personalstand mancher Apotheken ist geradezu luxuriös. Da werden sich in Zukunft vermutlich viele schmaler aufstellen müssen. Und ja, auch auf den Inhaber wird wohl mehr Arbeit zukommen.“ Die Voraussetzung für all dies ist aber eine Veränderung im Mindset. Der Pharmazeut darf sich nicht mehr nur als Fachexperte verstehen, sondern muss auch als Unternehmer auf den Plan treten. „Als die Margen noch gestimmt haben, konnte der Apotheker sich auf seine Expertenrolle zurückziehen“, sagt Hausegger. „Aber ein bis zwei Gespräche pro Jahr mit dem Steuerberater sind zu wenig. Zumal vielen meiner Kunden die Informationen vom Steuerberater nicht verständlich nähergebracht werden.“ Fleißig an der Tara stehen reicht nicht aus – heute muss der Apotheker ein Unternehmen in die Zukunft führen und allenfalls nötige Kompetenzen ins Team holen. Ehrmann etwa hat Experten für Unternehmensführung, Business Development und Marketing im Team – zusätzlich zu all der pharmazeutischen Kompetenz, die in einer Apotheke ohnehin selbstverständlich sein sollte.

Apotheker als Gesundheitsberater

Eine weitere Aufgabe der nächsten Jahre besteht darin, die Dienstleistungspalette auszubauen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. „Was sich derzeit in den USA und in Nordeuropa abzeichnet, wird früher oder später unweigerlich auch zu uns kommen“, sagt der gebürtige Österreicher Albrecht. Die Personalisierung der Medizin wird zu einer Individualisierung des Versorgungssystems führen, in der Folge wird immer weniger beim Arzt oder im Krankenhaus passieren, dafür immer mehr zuhause. „Die Rolle des Apothekers wird sich verändern, vom Abgeber von Medikamenten und bestenfalls Therapieberater hin zu einem umfassenden Gesundheitsberater“, so Albrecht. „In der Betreuung des Kunden – nicht erst des Patienten – ergibt sich eine viel breitere Aufgabe für den Apotheker und damit eröffnen sich auch ganz neue Umsatzströme.“ Das sagt auch Zukunftsforscher Georges T. Roos, siehe Interview auf Seite 30. Ein Beispiel sei Digital Health: Wer hilft dem Kunden, die Daten aus den unterschiedlichen digitalen Geräten auszulesen und korrekt zu interpretieren? Wenn es die Apotheken schaffen, etwa über eine App digitale Dienste anzubieten, hätte das einen doppelten Vorteil: Es würde die Kundenbindung erhöhen und wäre zugleich mit geringeren Kosten verbunden. „Das ist freilich für viele noch fremdes Terrain“, so Albrecht. „Und was man nicht gewohnt ist, wird gerade in Österreich eher skeptisch betrachtet.“

© Text: Gerhard Meszaros, Fotos: Philipp Tomsich