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Stumpfe Wunderwaffe?

ANTIBIOTIKA. Pharmazeut Dieter Steinhilber berichtete beim Pharmazieforum 2020 über den aktuellen Stand der Forschung. Im Interview spricht er darüber, warum man für den Kampf gegen das Corona-Virus auch Antibiotika braucht.

Herr Prof. Steinhilber, als Pharmazeut am Institut für Pharmazeutische Chemie der Universität Frankfurt beschäftigen Sie sich mit Entzündungsforschung. Antibiotika galten im Arzneimittelbereich lange als die Wunderwaffe schlechthin. Ist das nach wie vor so?

Penicillin, eines der ersten Antibiotika, wurde 1928 durch Zufall von Alexander Fleming entdeckt und trug wesentlich zu einer gestiegenen Lebenserwartung bei. Antibiotika hemmen als Therapeutika gegen Infektionskrankheiten das Wachstum von Mikroorganismen, die dem Menschen gefährlich werden können, oder töten diese sogar ab. Daher kann man durchaus von einer Wunderwaffe sprechen, zumal die Arzneimittel kurativ wirken und nicht nur Symptome behandeln. Krankheiten wie Diphterie, Scharlach, Wundinfektionen oder Lungenentzündung nicht mehr lebensbedrohlich. 

Derzeit sehen wir uns vor allem vom Corona-Virus bedroht. Ein Antibiotikum hilft naturgemäß nicht gegen Viren, dennoch wird es bei der Behandlung bei Covid-19-Erkrankungen eingesetzt. Warum?

Bei schweren Verläufen kann es zu einer Lungenentzündung kommen. Während eine klassische Lungenentzündung bakteriell verursacht wird, ist eine Covid-19-Lungenentzündung atypisch, denn Auslöser sind Viren. Dabei entzünden sich nicht die Lungenbläschen, sondern das dazwischenliegende Gewebe. Dennoch werden Antibiotika verabreicht, denn so soll verhindert werden, dass sich Erkrankte mit ohnehin bereits geschwächter Lunge zusätzlich noch mit anderen Bakterien infizieren. Es ist allerdings problematisch, dass Antibiotika nicht mehr so durchschlagend wirken.

Wie kam es zu den Antibiotika-Resistenzen?

So gut wie alle Antibiotika führen früher oder später zu Resistenzen, vor allem dort, wo täglich viele unterschiedliche eingesetzt werden wie in Intensivstationen. 

Leider gibt es die Tendenz, Breitband-Antibiotika aufgrund ihrer schnellen Wirkung und guten Verträglichkeit auch gegen leichte Erkrankungen wie eine Erkältung einzusetzen. Kommt man dem Keim mit einer solchen Keule, wird er rasch resistent. 

Und wie lässt sich das verhindern?

Indem vor einer Verschreibung festgestellt wird, um welchen Keim es sich handelt, um dann gezielt dagegen vorzugehen. Die Antibiotika gelangen in weiterer Folge auch ins Trinkwasser. Diese geringen Mengen haben zwar keine toxikologischen Auswirkungen, können aber dennoch zur Resistenzbildung beitragen. Problematisch ist der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung. Um Krankheiten zu verhindern oder ihre Ausbreitung einzudämmen, werden sie dem Futter beigemischt. Oft handelt es sich dabei um Reserveantibiotika, die normalerweise dann bei Menschen eingesetzt werden, wenn herkömmliche Antibiotika nicht mehr anschlagen. Über tierische Produkte landen sie wieder beim Menschen und wirken unter Umständen nicht mehr. 

Wovon hängt es ab, wie schnell eine Resistenz auftritt?

Man muss wissen, wie Antibiotika angreifen, welche Angriffspunkte (Targets) sie in der Zelle haben und welche genetischen und evolutionären Vorgänge Bakterien widerstehen. Resistenzen entstehen mitunter durch Mutation im bakteriellen Genom. Dessen Bauanleitung verändert sich mitunter so stark, dass es für das antibiotische Molekül nicht mehr zugänglich ist. So stellte sich im Jahr 1947 heraus, dass Streptomycin bei der Behandlung von Tuberkulose-Patienten plötzlich wirkungslos war. Seitdem setzt man auf Kombinationstherapien, da diese auf unterschiedliche Targets in den Zellen abzielen. Weitere Beispiele für Wirkstoffkombinationen in der Antibiose sind Penicilline oder Cephalosporine, die zusammen mit b-Lactamase-Inhibitoren gegeben werden, um Lactamase-vermittelte Resistenzen gegen das Antibiotikum zu verhindern.

Bereits seit den Sechzigern ist Methicillin-resistenter Staphylococcus 
aureus (MRSA) bekannt. Das Bakterium ist nicht nur gegen Methicillin, 
sondern auch gegen die meisten anderen Antibiotika resistent.

Neben Ihrer Tätigkeit an der Universität Frankfurt leiten Sie auch den Bereich Wirkstoffsuchforschung am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME. Wie ist es um die Entwicklung neuer Wirkstoffe bestellt?

Staphylococcus aureus (MRSA)Es werden derzeit wenig neue Antibiotika entwickelt. Aktuell befinden sich weltweit 42 Wirkstoffkandidaten in der Pipeline, aber nur 14 sind gegen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als kritisch eingestufte Erreger wirksam. Neue Targets, die in Hinblick auf Resistenzen wichtig sind, greifen gerade einmal sechs Wirkstoffe an. Nur wenige Unternehmen sind in der Antibiotika-Entwicklung aktiv; es handelt sich meist um kleine Biotechnologie-Unternehmen.

Antibiotika bekommt allerdings fast jeder einmal bei einer Erkrankung verschrieben; der Markt ist daher riesig. Warum ist das Interesse vonseiten der Konzerne trotzdem gering?

Die Suche nach neuen Stoffen ist aufwendig und die Antibiotikaentwicklung für Unternehmen oft nicht lukrativ genug, denn Antibiotika sind günstig und die Einnahmedauer kurz. Die Konzerne konzentrieren sich lieber auf teure Krebs- oder Diabetes-Medikamente, die teilweise ein Leben lang eingenommen werden müssen. Geforscht wird daher hauptsächlich von Biotech-Unternehmen, deren potenzielle Medikamente bei Erfolg an die Konzerne verkauft oder von diesen in der klinischen Prüfung Phase-1- oder Phase-2-lizenziert werden.

Penicillin wurde eher zufällig entdeckt. Müssen wir darauf hoffen, dass bei einem ähnlich wirksamen Antibiotikum wieder der Zufall Regie führt?

Ein wichtiger Ansatz ist, von der Natur zu lernen, etwa wie sich Mikroorganismen gegeneinander wehren. So publizierten Schweizer Forscher im Fachmagazin „Nature“ Ende vergangenen Jahres ihre Erkenntnisse über den neuen, natürlichen Wirkstoff Darobactin. Dieser wird von bestimmten Bakterien selbst produziert, um Konkurrenz unter anderen Bakterien auszuschalten. Erste Tests an Mäusen sind vielversprechend, da Darobactin gegen verschiedene antibiotikaresistente Keime zu wirken scheint.

Prof. Dr. Dieter Steinhilber
studierte an der Universität Tübingen Pharmazie und forschte nach dem Doktorat am Stockholmer Karolinska Institut. Seit dem Jahr 2000 ist er Professor für Pharmazeutische Chemie an der Goethe Universität Frankfurt am Main und Geschäftsführender Direktor des Instituts. Bis 2011 war Steinhilber Dekan der Fakultät für Biochemie, Chemie und Pharmazie und zwischen 2012 und 2015 auch Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft. Seit 2015 leitet der renommierte Wissenschaftler den Fachbereich Wirkstoffsuchforschung am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME. Steinhilber forscht derzeit an der Lipid-Signalübertragung.

© Text: Ulrike Moser, Foto: gettyimages