Public Health. Die Herausforderungen an das Gesundheitssystem werden mannigfaltiger, Apotheken wachsen dabei in eine neue Rolle als umfassende Gesundheitsdienstleister: mit Screenings und verschiedenartigen – teils ungewöhnlichen – Aktivitäten.
Text: Josef Puschitz | Illustrationen: Blagovesta Bakardjieva
Ein Feuerwehrauto in der Apotheke? Was auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheint, macht bei näherer Betrachtung durchaus Sinn: Eine Verkaufstara für Kinder, komplett mit funktionalem Blaulicht und einer Leiter, die der jungen Kundschaft Teilhabe buchstäblich auf Augenhöhe ermöglicht. Die Grazer Floriani-Apotheke ist aber nicht allein „Gesundheitsfeuerwehr“ für junge Familien – Inhaberin Mag. pharm. Doris Leykauf hat ein vielfältiges Publikum im Blick, mit jeweils ganz unterschiedlichen Bedürfnissen, wenn es um die Gesundheit geht.
„Wir verfolgen hier den Ansatz, Apotheke neu zu denken. Nicht als Verkaufsraum, in den man schnell hineingeht, um ein Rezept oder fiebersenkende Mittel abzuholen, sondern als Ort, der einen Mehrwert bietet“, fasst Leykauf ihre Philosophie zusammen. Seit sie die Apotheke im Grazer Außenbezirk Straßgang übernommen hat, verfolgt sie das Ziel, das Unternehmen möglichst „interessant“ aufzustellen. Ihr Ansatz für Gesundheit umfasst dabei ein breites Spektrum, in dem auch Tanz und Yoga Platz finden. „Seit Jänner betreiben wir einen Seminarraum, wo wir Vorträge zu Gesundheitsthemen anbieten. Neben Informations- und Wissensweitergabe finden dort aber auch Workshops für unterschiedliche Formen der Bewegung statt“, so die Inhaberin über die vielfältigen Angebote in ihrer Apotheke.
Genmaterial untersuchen
Vielfalt herrscht auch bei den Testmöglichkeiten vor, die Leykauf schon vor ihrer Übernahme vorangetrieben hat. In einem kleinen Kapillarblutlabor werden unter anderem Langzeitzucker, Gesamtcholesterin oder Vitamin-D-Spiegel von Kund*innen nachverfolgt. Zudem können im Labor die Harnsäure bestimmt sowie Gluten- und andere Lebensmittelunverträglichkeiten detektiert werden. „Unser neuester Zugang ist der CoGap-MetaCheck-Test, bei dem mittels Mundschleimhautabstrich das Genmaterial untersucht wird. Das Ergebnis dieses Tests bietet Informationen, welcher Stoffwechseltyp man ist und wie das Abnehmen durch die richtigen Lebensmittel erleichtert werden kann. Außerdem bieten wir eine weitere Genanalyse an, bei der wir Aufschlüsse erhalten, wie Medikamente im Körper verstoffwechselt werden, um Nebenwirkungen zu vermeiden“, sagt Leykauf. Auch Entzündungswerte im Blut werden bei ihr erfasst, neben vielen anderen Parametern. Die Pharmazeutin sieht in diesem breiten Angebot eine wichtige Säule in der Gesundheitsvorsorge, um Kund*innen schnell und einfach mit Daten zu ihrem Gesundheitszustand zu versorgen.
Schädliche Effekte der westlichen Ernährung
Gesundheitsexpert*innen warnen schon längst, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs auf dem Vormarsch sind, teils aufgrund der alternden Bevölkerung, teils aufgrund unseres Lebensstils – Stichworte Rauchen, Bewegungsmangel, Alkohol, Ernährungsgewohnheiten. Wie sehr Letztere zu Buche schlagen, hat eine Übersichtsstudie der MedUni Innsbruck deutlich vor Augen geführt. Die Gastroenterologen Univ.-Prof. Dr. Herbert Tilg und Univ.-Prof. Dr. Timon Adolph, PhD, haben sich dafür durch 300 Arbeiten und Literatur der vergangenen fünf Jahre geackert und eine beunruhigende Bilanz gezogen: „Wir konnten einen umfassenden Zusammenhang von der bei uns vorwiegenden westlichen Ernährungsform und chronischen Erkrankungen belegen“, sagt Tilg und nennt dabei chronisch entzündliche Darmerkrankungen als Beispiel.
Der Artikel der beiden Wissenschaftler, der im renommierten Fachmagazin „Nature Medicine“ veröffentlicht wurde, beschreibt die „westliche Ernährung“ als Schlüsselfaktor für die Vulnerabilität des Darm-Mikrobioms, aber auch für chronische Entzündungen und chronische Krankheiten, die das Herz-Kreislauf-System, das Stoffwechselsystem und den Verdauungstrakt betreffen. „Sowohl die Medizin als auch die Gesellschaft als Ganzes müssen schleunigst auf die schädlichen Effekte der westlichen Ernährung reagieren und sich für nachhaltige Veränderungen einsetzen“, lautet das Fazit der beiden Wissenschaftler.
600.000 Patientenkontakte täglich
Für Veränderungen engagiert sich auch die Österreichische Apothekerkammer. Mag. pharm. Susanne Ergott-Badawi, die erste Obmannstellvertreterin, ortet ungenütztes Versorgungspotenzial im Gesundheitswesen und regt daher an, die Expertise in den Apotheken verstärkt in neue Dienstleistungen umzusetzen: „Apothekerinnen und Apotheker haben täglich rund 600.000 Patientenkontakte. Viele Menschen kommen ohne vorherige ärztliche Konsultation und ohne ärztliche Verschreibung. Die Apothekerschaft führt schon jetzt verschiedene Gesundheitstests durch, weitere werden folgen. Sie sollen in Zukunft erstattet und über e-Medikation abgewickelt werden“, so die Forderung der Standesvertreterin. Ergott-Badawi sieht neue präventive pharmazeutische Leistungen am Horizont, darunter Screening-Programme zur Diabetes-Früherkennung oder zur Tumorvorsorge. Außerdem sollen die Betreuungsangebote für chronisch Kranke erweitert werden: „Damit wird sichergestellt, dass diese Patientinnen und Patienten nach Einstellung auf eine neue Dauermedikation eine strukturierte pharmazeutische Beratung in der Apotheke erhalten, die von der Krankenkasse bezahlt wird“, sagt Ergott Badawi. Wie ihre Grazer Kollegin Doris Leykauf hält auch sie das Impfen in Apotheken für sinnvoll, um das Gesundheitsangebot im Bereich Public Health zu erweitern.
Eine, die diesen Bereich schon lange beforscht, ist Univ.-Prof.in Dr.in Anita Rieder. Die Sozialmedizinerin ist Vizerektorin der MedUni Wien und leitet dort seit 2012 das Zentrum für Public Health. Dem heimischen Gesundheitssystem stellt sie ein kritisches Zeugnis aus, denn die Datenbasis spreche eine klare Sprache: „Österreich ist ein Land, in dem die gesunden Lebensjahre im EU-Vergleich unterdurchschnittlich sind. Wir schneiden zwar bei der Lebenserwartung recht gut ab, müssen jedoch damit rechnen, dass wir statistisch betrachtet im Vergleich zu vielen anderen Ländern einen größeren Anteil an unserer Lebenserwartung nicht in Gesundheit und nicht frei von Behinderung und Beeinträchtigung verbringen werden. Frauen sogar noch etwas mehr als Männer“, so die Expertin. Soziale Ungleichheit würde gesundheitliche Ungleichheit noch weiter befeuern, warnt die Vizerektorin: „Apotheken haben eine wichtige und verantwortungsvolle Funktion für die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung.“
"Hausgemachte Krankheiten"
Ein ungesunder Lebensstil trägt wesentlich zur Sterblichkeit in Österreich bei, heißt es im „Länderprofil Gesundheit 2023“ des von der OECD herausgegebenen „State of Health“-Berichts. Demnach waren 36 % aller 2019 in Österreich verzeichneten Todesfälle auf verhaltensbedingte Risikofaktoren wie Tabakrauchen, ernährungsbedingte Risiken, Alkoholkonsum und geringe körperliche Aktivität zurückzuführen. Auf ernährungsbedingte Risiken, darunter etwa der geringe Verzehr von Obst und Gemüse sowie ein hoher Konsum von Zucker und Salz, entfielen schätzungsweise etwa 15 % aller Todesfälle (12.600), verglichen mit einem EU-Durchschnitt von 17 %.